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Ein modernes Märchen

Wer braucht denn schon Tarifverträge oder Gewerkschaften?


Ein modernes Märchen

Es war einmal an einem schönen Morgen, da erwachte Mäxchen aus seinem tiefen Schlaf. Er stellte sofort fest, dass sein größter Traum in Erfüllung gegangen war:
GEWERKSCHAFTEN GIBT ES NICHT MEHR UND TARIFVERTRÄGE AUCH NICHT MEHR!
War das eine Freude!
"Hurra, jetzt spare ich meinen Gewerkschaftsbeitrag! Der war ohnehin immer viel zu hoch, und was habe ich dafür bekommen? Meine Arbeitsbedingungen kann ich doch viel besser selbst mit meinem Arbeitgeber aushandeln!"
Frohen Mutes ging Mäxchen zur Arbeit, den Kopf voller super Ideen und stellte seinem Arbeitgeber seine Forderungen vor:

Mäxchen: Ich will mehr Geld und mehr Freizeit! Und zwar:
Lohn-Gehalt: 3000 Euro im Monat, natürlich auch, wenn ich krank bin. Arbeitszeit: 35 Stunden in der Woche, verteilt auf fünf Tage, also Montag bis Freitag.
Jahresurlaub: 40 Arbeitstage
Weihnachtsgeld: 3000 Euro

Mäxchens Arbeitgeber hörte sich diese Forderungen zunächst ruhig an. Jedoch dann prustete er laut los vor Lachen.
Chef: Herr Max, bekommen Sie eigentlich gar nichts mehr mit? Wissen Sie nicht, was passiert ist? Wir beide können jetzt machen was wir wollen!
Mäxchen: Genau! Deshalb bin ich ja hier.
Chef: Prima, Herr Max, dann verstehen Sie sicher auch, dass ich jetzt endlich frei von jeder Tarifbindung bin. Beim Aushandeln Ihres neuen Arbeitsvertrages muss ich mich nur an die gesetzlichen Mindeststandarts halten. Und das tue ich auch, ich bin ja schließlich ein sozial eingestellter Arbeitgeber! Im Übrigen, Herr Max, wenn Ihnen mein Angebot nicht gefällt, können Sie gerne gehen - es gibt genügend andere!
Und nun hören Sie sich bitte mein Angebot an. Erstens, zum Lohn und Gehalt: 766,94 Euro monatlich.
Mäxchen: He ich bin eine gut ausgebildete Fachkraft! Nach der Vergütungsordnung steht mir mindestens die Vergütungsgruppe....
Chef (schon etwas ungehalten): Herr Max, es gibt keine Vergütungsverordnung mehr und auch keine Vergleichswerte.
Mäxchen: Aber der Gesetzgeber bezeichnet 30 Prozent unter dem vergleichbaren Tariflohn als Lohnwucher....
Chef: 30 Prozent WOVON? Es gibt keine Tariflöhne mehr! Basta! Finden Sie sich damit ab. Und jetzt möchte ich weitermachen. Wenn Sie krank werden, dann gibt es sechs Wochen Lohnfortzahlung, und zwar 100 Prozent, auf der Basis des vereinbarten Monatslohnes. Sie erinnern sich: 766, 94 Euro!
Mäxchen (zaghaft): Und was ist, wenn ich Überstunden gemacht habe? Fallen die dafür fälligen Prozente nicht in die Berechnungsgrundlage?
Chef (barsch): Nein! Schauen Sie mal ins Gesetz. Da gibt es nirgendwo eine Stelle, die vorsieht, dass jemand für Überstunden überhaupt Prozente bekommen muss. Und nun weiter im Text. Ich habe schließlich nicht den ganzen Tag Zeit, und Sie bezahle ich hier fürs Arbeiten und nicht für Plauderstündchen. Zweitens beträgt Ihre Arbeitszeit 48 Stunden in einer Sechs-Tage-Woche, also von Montag bis Samstag. Wir sind ein Betrieb, in dem nach dem Arbeitszeitgesetz Sonn- und Feiertagsbeschäftigung zugelassen ist. Da müssen auch Sie ran. Aber ich garantiere Ihnen 15 freie Sonntage im Jahr. Ich halte mich schließlich an die Gesetze!
Mäxchen: ....!!!
Chef: Drittens Ihr Urlaub: 24 Werktage. Und damit das klar ist: Werktage sind alle Tage, die nicht gesetzliche Sonn- und Feiertage sind.
Mäxchen: (ganz leise) Das sind ja nur 4 Wochen! Und was ist mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld?
Chef: (sehr sanft) Werden von keinem Gesetz vorgeschrieben ....
Mäxchen: ( in einem letzten Versuch, seinen Mut und Elan vom Morgen wiederzugewinnen) Was ist mit den Zuschlägen für Erschwernisse, für Schicht und Wechselschicht? Und mit den Arbeitsbefreiungen bei bestimmten Anlässen, zum Beispiel wenn ich demnächst zum fünften Mal Vater werde....?
Chef: (wütend) das reicht! Herr Max, Sie sind entlassen!!!
Mäxchen: A...aa...aber ich bin doch unkündbar?!
Chef: (schreit) Wo steht DAS denn? Ich glaube, Sie träumen!!!

Und genau in diesem Moment wachte Mäxchen auf. Und sofort war er heilfroh, dass dieses Gespräch nur in seinen Gedanken stattgefunden hatte. Hoffentlich wird dieser Alptraum nie Wirklichkeit! Weder unter der Dusche noch auf dem Weg zur Arbeit konnte Mäxchen die Erinnerung an diesen üblen Traum verdrägen. "Ich muss heute in der Mittagspause unbedingt mit meinen Kolleginnen und Kollegen darüber reden," sagte er sich.
Später in der Kantine fragt Mäxchen die Arbeitskollegen: " Was ist denn, wenn die Zahl steigt, die nicht Mitglied in der IG BCE sind? Dann kannst Du all die Vorteile des Tarifvertrages und der Mitbestimmung von unserem Betriebsrat vergessen. Gewerkschaft und sichere Tarifverträge funktionieren nur, wenn alle Mitglied einer Gewerkschaft sind. Ansonsten hält bald keiner mehr dagegen, wenn Politiker und Unternehmervertreter beispielsweise die Tarifautonomie oder die Sonn-, Nacht- und Feiertagszuschläge abschaffen wollen."
Mäxchen weiss nun, wie sein Alptraum niemals Wirklichkeit wird. Allein erreicht man gar nichts! Nur gemeinsam sind wir stark!!!